German – Interview ueber das Genfer Ubereinkommen 2003

Interview über das Genfer Übereinkommen

mit Dr. Sami Aldeeb

Vorsitzender der Gesellschaft für Einen Demokratischen Staat in Palästina/Israel

Von Jean-Pierre Barrois [email protected]

Durchgesehen von Sami Aldeeb, übersetzt aus dem Englischen von Anis Hamadeh ([email protected]): http://www.anis-online.de/pages/_orient-online/one-state.htm.

Erstveröffentlichung in: Counterpunch, « Amerikas bestem politischen Newsletter », 12.12.2003, www.counterpunch.com/ barrois12122003.html

 

Frage: Können Sie uns etwas über sich erzählen?

 

Ich bin ein Christ palästinensischen Ursprungs und Schweizer Bürger. In der Schweiz lebe ich seit 1970. Ich machte meinen Bachelor (1974) und meinen Doktor der Rechtswissenschaft an der Universität von Fribourg (1979). Ich habe auch einen Abschluss in Politikwissenschaft vom Genfer Institut für Internationale Studien (1976). Seit 1980 arbeite ich für ein Schweizer Institut als Spezialist für arabisches und muslimisches Recht.

 

Ich schrieb mehrere Bücher und Artikel, die sich hauptsächlich mit den Verbindungen zwischen Recht, Religion und Politik beschäftigen. Meine Dissertation war eine Studie von Nichtmuslimen in Ägypten. Mein letztes Buch ist über Muslime im Westen. Eine bibliografische Liste meiner Publikationen sowie einige Artikel kann man auf meiner Webseite finden: www.go.to/samipage.

 

Erzählen Sie uns von Ihrem Engagement in der palästinensischen Frage.

 

Bevor ich in die Schweiz kam, arbeitete ich zwei Jahre lang als einheimischer Angestellter beim Internationalen Roten Kreuz im Flüchtlingslager von Jenin. Meine Aufgabe bestand darin, Rote-Kreuz-Delegierte als Übersetzer zu begleiten. Ich besuchte die Familien palästinensischer Häftlinge und übermittelte Grüße. Ich konnte das Elend meiner Landsleute sehen. Als ich mit einem Studenten-Stipendium in die Schweiz gekommen war, sagte ich mir, ich sollte nicht in die Politik gehen. Mein Ziel war es, das Studium zu beenden und nach Hause zurückzukehren, um den Leuten dort besser helfen zu können. Doch als ich Schweizer zionistische Juden sah, die Israel kritiklos in Schutz nahmen, konnte ich nicht länger schweigen.

 

Eines Tages verteilten diese Zionisten eine Flugschrift in der Schweiz, in der sie um Geld anfragten, um « die Wüste zum Blühen zu bringen. » Das erinnerte mich an Emmaus, das berühmte biblische Dorf, das Israel 1967 vollständig dem Boden gleichgemacht hat, nachdem es seine Einwohner vertrieben hatte. An der Stelle, wo das Dorf einst stand, hat Israel einen Wald für Picknicker gepflanzt, den « Kanada-Park », dank der « Großzügigkeit » kanadischer Juden. Israel hat die Spuren dieses Dorfes mit einem Wald verwischt! Ich begann mich dann zu fragen, wie viele andere palästinensische Dörfer das gleiche Schicksal erlitten haben mögen im Zuge israelischer Lügen, « die Wüste zum Blühen zu bringen. » Später begegnete ich Israel Shahaks Liste, die ich in verschiedenen Leserbriefen veröffentlichte, die ich an Schweizer Zeitungen schickte. Die Zionisten bezichtigten mich der Lüge. Ich bot an, die Liste bei der Hebrew University einzureichen, um zu sehen, ob sie echt ist oder nicht. Mein Angebot wurde abgelehnt. Da entdeckte ich, dass sie unredlich gesprochen hatten. Inzwischen war ich in der Lage, drei Bilder von Emmaus von Pater Pierre Medebielle von Jerusalem zu bekommen, aufgenommen vor und nach Israels Zerstörung des Dorfes. Ich veröffentlichte sie in der Schweiz. Wieder beschuldigten mich die Zionisten der Lüge. Doch die Fotos sind da und man kann sie sehen! Ich kannte dieses Dorf gut, da ich es vor und nach seiner Zerstörung besucht habe.

 

Im März 1987 entschloss ich mich, mit meinen Schweizer Freunden eine Gesellschaft zu gründen, um Emmaus wiederaufzubauen. Unser Ziel bestand darin, die Geschichte des Dorfes und Forderungen seiner Einwohner bekannt zu machen. Eines unserer Mitglieder, Christophe Uehlinger, kümmerte sich darum, die Liste der von Israel zerstörten palästinensischen Dörfer zu prüfen, basierend auf Shahaks Liste, und darüber hinaus israelische Karten, die die Namen von Dörfern mit einem hebräischen Aufdruck « harouss » (das bedeutet « zerstört ») besonders erwähnen. Diese Liste wurde in zwei Ausgaben von der Gesellschaft zum Wiederaufbau von Emmaus veröffentlicht. Auch stellte ich die Liste der Dörfer sortiert nach ihren jeweiligen Distrikten ins Internet, ohne die anderen Details aus Christophe Uehlingers Papier, sodass sie für jeden erhältlich sind (siehe die Liste unter http://w1.858.telia.com.

 

Das Schweiz-italienische Fernsehen ging nach Palästina, um eine Reportage über das Dorf Emmaus zu machen. Zu der Zeit traf die Film-Crew einen israelischen Soldaten vom Kibbutz Nahshon, der 1967 am Sechs-Tage-Krieg teilgenommen und die Zerstörung von Emmaus und die Vertreibung seiner Einwohner von Israel fotografiert hatte. Wir waren in der Lage, die Fotos zu kaufen, um einen dokumentierten Bericht der Zerstörung des Dorfes zu haben. Diese Fotos sind jetzt im Internet zu finden. (www.lpj.org/Nonviolence/ Sami/Album.html). Die Dokumentation wurde vom Schweiz-italienischen Fernsehen am 29. Mai 1987 ausgestrahlt. Die Einwohner von Emmaus fordern nach wie vor ihr Recht, nach Hause zurückzukehren, doch die israelischen Behörden verweigern ihnen dieses Recht.

 

Erzählen Sie uns von der Gesellschaft für Einen Demokratischen Staat in Palästina/Israel.

 

Emmaus ist eines von 385 palästinensischen Dörfern, die von Israel zerstört wurden. Seine Einwohner sind nur ein Beispiel unter vielen von Palästinensern, die von ihrem Land und ihrem Zuhause vertrieben wurden. Nach dem Kollaps der Osloer Übereinkommen and der Roadmap für den Frieden, die sehr viel Hoffnung gaben, sagte ich mir, dass man sich auch um die anderen palästinensischen Flüchtlinge kümmern muss. Das Hauptziel dieser beiden Übereinkünfte – und auch der Genfer Übereinkunft – war es, zwei Staaten zu schaffen. So versuchten die Israelis, die Flüchtlinge um ihr Recht auf Rückkehr in die Heimat zu bringen. Sie erzählten ihnen: « Ihr könnt jetzt einen palästinensischen Staat für Euch selbst haben. Ihr habt nicht mehr das Recht, zu kommen und im jüdischen Staat zu leben. Findet Euch einen Platz zum Leben in eurem eigenen Staat. » Dies wird von Flüchtlingen niemals akzeptiert werden, die die ewigen Verlierer des israelisch-palästinensischen Konflikts sind. Sie haben sich bewiesen, dass sie in der Lage sind, jede Übereinkunft zu kippen, die nicht ihr Recht auf Rückkehr einbezieht. Immerhin, wenn der Russe Scharon und der Pole Peres das Recht haben zu kommen und in Palästina zu leben, ist es unverständlich, warum diese Flüchtlinge nicht autorisiert sein sollen, heimzukehren. Ich möchte hier betonen, dass ein solches Recht kein größeres Problem darstellt, da die meisten der von Israel zerstörten Dörfer unbewohnt sind. Meistens hat Israel sie einfach mit Wäldern überdeckt, als sollten ihre Spuren ausgelöscht werden.

 

Abgesehen vom Flüchtlingsproblem musste klargemacht werden, dass die Schaffung zweier Staaten bedeutet, dass der palästinensische Staat eine muslimische Mehrheit haben wird, die Nicht-Muslime und Frauen nachteilig behandeln wird und dass der israelische Staat jüdisch sein wird und Nicht-Juden und Frauen nachteilig behandelt.

 

Schließlich ist das Territorium, auf dem die zwei Staaten errichtet werden würden, so groß wie ein Taschentuch. Sowohl Juden als auch Nicht-Juden, die dort leben, fühlen sich mit der Gesamtheit des Territoriums verbunden, und sie teilen gemeinsame ökonomische Interessen. Das Gebiet in zwei Teile zu teilen würde nur neue Ungerechtigkeiten schaffen. Und in keiner Weise würden die palästinensischen Flüchtlinge es Israel erlauben, in Frieden zu leben. Käme es zu einem Angriff, würde Israel den palästinensischen Staat zurückerobern und alles würde wieder von vorn anfangen bei Position 1.

 

Daher müssen wir uns verneigen vor der Tatsache, dass die einzige lebensfähige Lösung die Gründung eines einzigen Staates mit gleichen Rechten für alle ist. Diese Staat müsste alle Formen von Diskriminierung auf der Grundlage von Religion oder Geschlecht ablehnen. Außerdem ist das historische Palästina in seiner Geschichte nur für ungefähr zwanzig Jahre geteilt gewesen, und zwar zwischen 1949 und 1967. Die Geografie des Landes lässt keine Teilung zu. Man kann zwar sagen, dass der Hass zwischen Juden und Nicht-Juden in dieser Region die Schaffung eines einzigen Staates im Moment verhindert. Doch dieser Hass ist zurückzuführen auf Unrecht. Wenn das Unrecht repariert wird, wird der Hass verschwinden. Die Teilung des Gebietes in zwei Staaten wird diesen Hass nur verschlimmern. Wenn du deinen Bruder verachtest, ist es deshalb nicht akzeptabel, deine Mutter in zwei Hälften zu schneiden.

 

Der Gedanke, einen einzigen Staat zu schaffen, wurde oft und gleichermaßen von Israelis und Palästinensern verfochten. Die PLO übernahm ihn einst als ihr Haupt-Credo. Der verstorbene Edward Said hatte sich für solch einen Staat ausgesprochen. Doch niemand ging ins Detail hinsichtlich des rechtlichen Rahmens, nach dem solch ein Staat regiert werden würde. Da kam ich darauf, dass wir eine Gesellschaft gründen müssen, um diese Idee zu verfolgen und weiterzuentwickeln. So wurde die Gesellschaft für Einen Demokratischen Staat in Palästina/Israel am 15. August 2003 geboren. Zum allerersten Mal hat ihre Satzung einen rechtlichen Rahmen für den Staat geschaffen, den wir anstreben. Sie kann in verschiedenen Sprachen eingesehen werden auf unserer Webseite: www.one-democratic-state.org.

 

Diese Satzung beruht auf dem Prinzip: « Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein » (Jesaja 32:17). Heute, am 06. Dezember 2003, hat die Gesellschaft 296 Mitglieder Juden, Christen, Muslime und andere, die innerhalb und außerhalb Palästinas/Israels leben. Einige neue Mitglieder kommen fast täglich dazu. Wir haben versucht, verschiedene Artikel auf unserer Webseite zusammenzustellen, die sich für eine solche Lösung aussprechen.

 

Wie ist Ihre Position zum Genfer Abkommen?

 

Unsere Gesellschaft hat das Genfer Abkommen abgelehnt und als unmoralisches beurteilt, weil es die Genfer Konventionen verletzt und das internationale Recht. Das Abkommen vernachlässigt wissentlich das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr. Zudem teilt es das Land in zwei Staaten, was notwendigerweise zwei unterschiedliche Regime bedeutet. Wir haben darum gebeten, dass die Schweiz im Namen einer demokratischen und pluralistischen Debatte eine weitere Konferenz finanziert, die das Recht palästinensischer Flüchtlinge auf Rückkehr berücksichtigt sowie sich für die Bildung eines einzigen demokratischen Staates Palästina/Israel ausspricht. Wir warten noch immer auf eine Antwort.

 

Palästinensische Verhandlungsführer wurden von ihren israelischen Gesprächspartnern eingesetzt. Die Zionisten haben immer versucht, die Palästinenser dahin zu bekommen, dass sie ihr Recht auf Rückkehr aufgeben. Doch dies ist das erste Mal, dass sie es geschafft haben, einen solchen Verzicht zu erreichen. Diejenigen, die an den Verhandlungen teilgenommen haben, können niemals mehr umkehren. Schlimmer ist, dass diese Verhandlungsführer kein Mandat hatten, das Rückkehrrecht zu diskutieren, und dass sie die palästinensischen Flüchtlinge nicht konsultiert haben.

 

Jetzt, wo die palästinensischen Verhandlungsführer in ihr Land zurückgekehrt sind, entdecken sie, dass die Flüchtlinge wütend sind auf sie. Sie haben gedroht, sie vor Gericht zu bringen, sogar, sie umzubringen. Damit wird die Provozierung eines Bürgerkriegs unter Palästinensern riskiert. Wie kann es in diesem Fall weitergehen? Unsere Gesellschaft glaubt, dass es die Pflicht der Schweiz ist, den Verhandlungspartnern zu Hilfe zu kommen und ihnen politisches Asyl zu gewähren – bevor sie umgebracht werden. Dies haben wir von den Schweizer Behörden ersucht.

 

Wie beabsichtigt Ihre Gesellschaft, ihre Ziele zu erreichen?

 

Unsere Gesellschaft hat ein aufklärerisches Ziel. Sie möchte den Gedanken des Friedens unterstützen, auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Achtung internationalen Rechts. Sie glaubt, dass es niemals Frieden im Nahen Osten geben kann ohne Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge. Sie ist überzeugt davon, dass die Konfliktparteien diesen Standpunkt letztlich übernehmen werden – worüber in steigendem Maße von israelischen und palästinensischen Autoren nachgedacht wird. Daher möchten wir eine Debatte über diese Lösung in Gang bringen auf israelischer, palästinensischer, arabischer und internationaler Ebene. Wir können niemanden zwingen, unsere Ansicht zu übernehmen, aber wir sagen den Leuten, dass die einzige Alternativlösung ein Abstieg in die Hölle für uns alle ist. Und dies wird täglich im Feld bestätigt.

 

Um den Gedanken eines einzigen demokratischen Staates weiterzubringen, schließen wir nicht die Möglichkeit aus, eines Tages, wenn unsere Mitgliederzahl weiter wächst, eine Exil-Regierung auszurufen, so wie es De Gaulle tat mit der Aussicht, Frankreich zu befreien. Vielleicht gründen wir auch eine politische Partei, die aus Juden, Christen, Muslimen und anderen bestehen wird, damit wir unser Ziel erreichen können.

 

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